"ABENDRÖTE"
Vor dem Schlafengehen nimmt die Sonne Borstenpinsel in die Hand. Ein Glas von dem Roten schenkt sie sich ein, genießt die Mußestunde. Öffnet alten Malkasten, holt die Palette, mischt stilvoll Farbenklang. Die große Leinwand verschiebt sie nach Westen, breite Drehbühne steht frei, das Schauspiel der Farben kann beginnen. Die Malerin liebt das bunte Theater. Auf dem Vergissmeinnicht farbenem Hintergrund zeichnet sie einen hellroten Strich. Sanfte, reine, leuchtende rote Töne klingen. Es rauscht eine zartrote Symphonie. Am Himmel klimmt eine Blumenborte, dunkelrote Rosen blühen. Pinkige Malven wie aus Krepppapier geschnitten, locken. Schnell fangen korallenrote Zinnien an zu zaubern, zarte Päonien Blattkelche erröten schrecklich, gelbrote Feuerlilien entfalten ihre verschwenderische Pracht. Hinauf schwingt rotgoldene Glut. Der Streifen schillert, krapproter Glanz funkelt. Im Ländnertakt tiefrote Farben runden, knallrote Volkstrachten sich winden. Karminrote Fackelscheine tanzen feierliche Polonaise. Von Seite zu Seite pendeln scharfrote Lichtkegeln, skurrile Silhouette werfen. Plötzlich verhüllt rötlicher Schimmer alle Türme, Dächer, Felder. Rosa Wolken segeln, eine rubinrote Krähe fliegt, amarantrote Gänse schnattern. Unter dem Apfelbaum spielt das Fagott einen Oberton, verliebte Noten flattern. Das Bild in Rot komponiert, ein Märchen fabelt. Langsam erscheint die Stille mit dem Abschiedsblick. Eine schöne Dame purpurrotgewandet und ihr Hof denken über etwas nach. Am Horizont, hinter den schwarzen Tannensäulen versinken sie heimlich. Letzte Lichtstrahlen flimmern, schleifen violette Schatten, den roten Traum erlöschen. Noch glimmt ein Nostalgiehauch. In der Ferne lächelt silbergrüner Nordstern jugendhaft, schelmisch blinzelt.
M.K. am 28.10.2007
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